Wo das kälteste Herz schlägt – Spike Lees „Highest 2 Lowest“ ist mehr als ein Thriller

Wenn ein Mensch bedroht ist und man kann ihn retten, was tut man? Das ethische Gebot: Man rettet ihn um jeden Preis. Man rettet ihn, ohne zu zögern. Wirklich? Und was ist man für ein Mensch, wenn man wegen des Preises zögert? Weil man die Nähe des zu Rettenden gegen den Preis abwägt? Wie weit entfernt darf der Nächste stehen, den man lieben soll wie sich selbst, wie den eigenen Sohn, damit er auf Hilfe zählen kann? Vom Humanismus in den Zeiten des Kapitalismus erzählt der Thriller „Highest 2 Lowest“ des Filmemachers Spike Lee.
Denzel Washington arbeitet bereits zum fünften Mal seit „Mo‘ Better Blues“ (1990) mit dem Regiemeister zusammen, der in den 80ern das New Black Cinema mitbegründete. Er ist der Musikmogul David King, der Mann mit dem perfekten Gehör, der für seine Plattenfirma Stackin‘ Hits viele Talente zu Weltstars machte.
King lebt mit Frau Pam (Ilfenesh Hadera) und Sohn Trey (Aubrey Joseph) in einem Luxusapartment mit Blick auf die altehrwürdige Brooklyn Bridge und die Skyline von Manhattan. Der Plattenfirma geht es dieser Tage solala, trotzdem will King einst voreilig verkaufte Anteile zurückholen, neu durchstarten, Talente wie die Sängerin Sula checken, deren Songs sein Sohn ihm auf Playlists schickt.
David King zögert, das Lösegeld für das Kind seines Chauffeurs zu zahlen
Da wird Trey vom Basketballtraining weg entführt. Der Kidnapper fordert 17,5 Millionen Dollar Lösegeld, fast alles, was die Kings besitzen. King stellt seine Träume sofort hintan, als sich herausstellt, dass es eine Verwechslung gab – tatsächlich wurde Kyle, der Sohn seines Chauffeurs und Vertrauten Paul, Opfer des Gangsters.
Paul war gerade noch von den NYPD-Detectives Bridges (John Douglas Thompson), Bell (La Chanze) und Higgins (Dean Winters) als verdächtig eingeschätzt worden, jetzt ist er der, der um sein Liebstes bangen muss. Und plötzlich hält David inne, zögert. Sagt: „Es ist nicht mein Sohn!“
„Highest 2 Lowest“ ist ein Remake. Lee hat „Zwischen Himmel und Hölle“ (1963), eins der Meisterwerke des Kollegen Akira Kurosawa neu verfilmt. Nicht das erste Mal, dass Amerika auf dessen Schaffen zurückgriff - einer der großen Western, John Sturges‘ „Die glorreichen Sieben“ (1960) basiert auf Kurosawas Klassiker „Die sieben Samurai“ (1954).
Das Original erzählte dieselbe Geschichte und beleuchtete zugleich eine von der Kriegsniederlage erschütterte, sich neu aufstellende japanische Gesellschaft. Im Grunde ist Lees Film allerdings ein Reimport. Denn Kurosawa verfilmte Ed McBains „Noir“-Krimi „Kings Lösegeld“ (1959), in dem Douglas King die damals verlangten 500.000 Dollar nicht zahlte.

Anders als Lees Protagonist, der, ähnlich wie Kurosawas Kingo Gondo (Toshiro Mifune) nur noch eine Weile am Geld hängt. Sein Geschäftspartner Patrick (Michael Potts) setzt ihm zu: „Was würden die Leute sagen, wenn du Pauls Kind opferst, um Stackin‘ Hits zurückzukaufen?“ Und mit Trey kommt es zum Streit: „David King. Mein Vater. Die besten Ohren im Business, aber das kälteste Herz.“
Ist David nur der Vertreter einer Zeit, in der sich die Empathie im Niedergang befindet, das Recht des Reicheren auf dem Vormarsch ist? Will er nicht sein.
Trey King, Sohn des Popmoguls David King, in "Highest 2 Lowest"
So wird ein spannender Großstadtthriller abgespult – mit einer Geldübergabe im Wimmeln eines puertoricanischen Straßenfests und einer sehenswerten Verfolgungsjagd mit Polizeiwagen und Motorrollern. Trey kommt frei, King wird in den Medien als „Black Panther der Bronx“ gefeiert, aber das Geld bleibt verschwunden, der große Deal ist geplatzt.
Die Genreanforderungen werden von Lee abgehakt. Aber der wirkliche Thrill kommt auf, als der Mann mit dem feinsten Gehör zufällig die Stimme des Kidnappers wiedererkennt, mit dem er telefoniert hat. Die Jagd nach dem Fremden und seinen Millionen, auf die er gemeinsam mit Paul (ein großartiger Jeffrey Wright) geht, führt ihn in die Finsternis gescheiterter Existenzen, zum kleinen Licht unerschütterlicher Träume und zu Erkenntnissen über die Klassengesellschaft in Amerika und die Verantwortung seines Jobs. Eins der beiden Rededuelle mit dem Entführer (ASAP Rocky) wird zu einer Rap-Battle – eine unvergessliche Szene.
Dass alles für alle (nicht für den Kidnapper und dessen junge Familie) zum Guten führt, ist nur vordergründig. Wie Kurosawas Kingo Gondo wird auch David King durch den Entführungsfall und die Folgen zu einem bescheideneren Mann. King will wieder wie früher für die Musik arbeiten, nicht für Reichtum.
Er lädt Sula ein, und die Sängerin lässt es so mächtig gospeln, dass man als Zuschauer beschließt, sich umgehend mit den Schallplatten ihrer Darstellerin Aiyana-Lee zu befassen, die nicht von ungefähr mit Adele verglichen wird.
Friede, Freude, Schampus? Das Gesicht Denzel Washingtons zeigt, dass sein Zögern sein wahres Gesicht gezeigt hat. Das Zögern ist der Kern des Films. Seine engsten Menschen werden sein „Es ist nicht mein Sohn“ nie vergessen. In Zeiten, in denen der Einzelne immer weniger zählt, macht King sich auf den Weg zum wahren Menschsein. Ob er am Ziel ankommt, lässt Lee offen. Das Happy End ist in Wahrheit ein offenes.
„Highest 2 Lowest“, Film, 133 Minuten, Regie: Spike Lee, mit Denzel Washington, Jeffrey Wright, Ilfenesh Hadera, ASAP Rocky, John Douglas Thompson, LaChanze, Dean Winters, Aubrey Joseph, Michael Potts, Elijah Wright, Princess Nokia, Aiyana-Lee, Ice Spice (streambar ab 5. September bei Apple TV+)
rnd